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Institut für Organische Chemie

Nachruf auf Siegfried Hünig

31.03.2021

Das Professorenkollegium und die Belegschaft des Instituts für Organische Chemie trauern um Professor Siegfried Hünig. Er verstarb am 24. März 2021, wenige Tage vor seinem 100. Geburtstag.

Siegfried Hünig studierte von 1939 bis 1942 Chemie an der Technischen Hochschule Dresden. Im Jahre 1943 promovierte er am dort unter Anleitung von Wolfgang Langenbeck zum Thema „Zur Kondensation von Acet- und Crotonaldehyden“ mit „summa cum laude“ und durfte fortan den Titel „Doktor-Ingenieur“ führen. Noch weitere zwei Jahre blieb er in Dresden, nun als wissenschaftlicher Assistent, aber unter zunehmend schwierigeren Bedingungen. Diese gipfelten in den verheerenden Luftangriffen vom Februar 1945, welche auch die Gebäude der Hochschule stark beschädigten und Hünig nach Kriegsende veranlassten, mit seiner schwangeren Frau ihre geliebte Heimat zu verlassen.

Über Unterfranken kam Hünig zu Hans Meerwein an das Chemische Institut der Universität Marburg, wo er ab 1946 als wissenschaftlicher Assistent tätig war. 1950 habilitierte er sich dort im Fach Chemie mit einer Arbeit „Über die katalytische Kondensation von Crotonaldehyd mit secundären Aminen unter Ausschluß von Säure“ und erhielt die Venia Legendi. Nach sechs Jahren als Oberassistent in Marburg wurde Hünig im Mai 1956 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1958 und 1959 unternahm er Forschungsreisen durch die USA, wo er im Rahmen eines Stipendiums u.a. an der University of California in Los Angeles zusammen mit Saul Winstein und Donald J. Cram forschte. Im November 1960 wurde er als Extraordinarius für Organische Chemie an die Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität München berufen.
 

Die Würzburger Jahre

Bereits ein Jahr später, am 1. November 1961, wechselte Hünig als Ordinarius für Chemie an die Universität Würzburg, wo er Direktor des Chemischen Instituts im noch von Emil Fischer geplanten Gebäude am Röntgenring wurde. Nachdem er insbesondere in den USA die Vorzüge moderner Hochschulstrukturen kennengelernt hatte, unterstützte Hünig mit großem Einsatz und Weitblick eine Neugliederung des traditionsreichen Instituts in die heutigen Institute für Anorganische und Organische Chemie. Federführend konzipierte er außerdem das neue Chemiezentrum am Stadtrand Würzburgs. Ab 1965 war er Direktor des neu gegründeten Instituts für Organische Chemie und Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie I. 1969 konnte er das erste der hochmodernen neuen Gebäude des Chemiezentrums am Hubland beziehen.

1974 erfolgte die Aufteilung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät in Fachbereiche, was im Jahre 1979 schließlich zur Umwandlung in selbständige Fakultäten führte. Hünig bekleidete in diesen Zeiten des Umbruchs das Amt des Dekans der frisch gegründeten Fakultät für Chemie und Pharmazie, von 1979 bis 1981. In den jeweils zwei Jahren davor und danach fungierte er als Prodekan.

Eher als andernorts wurden am Institut für Organische Chemie in Würzburg bereits in den frühen 1980er Jahren moderne NMR- (400 MHz) und MS-Geräte in Betrieb genommen. Mehr als zwanzig junge Chemiedozenten durchliefen dieses Institut auf ihrem Weg zu einem Lehrstuhl in Deutschland während der Hünigs Amtszeit.

Zum Ende des Sommersemesters 1987 wurde Hünig auf eigenen Wunsch vorzeitig emeritiert, um die Übergabe seines Lehrstuhls an den von ihm favorisierten Nachfolger, Gerhard Bringmann, sicherzustellen. In all den Jahren und auch noch über seinen Eintritt in den Ruhestand hinaus besuchte Hünig immer wieder als Gastprofessor Universitäten im Ausland, z. B. in den USA, Israel, Brasilien, Südafrika und Hong Kong.
 

Lehre – Kür statt Pflicht

Die Lehre war Hünig eine ganz besondere Herzensangelegenheit, und zwar nicht etwa nur die Ausbildung der fortgeschrittenen Studierenden und potenziellen Mitarbeiter für seine Forschung, sondern gerade auch die der Studienanfänger im Fach Chemie und in anderen naturwissenschaftlichen Fächern. So hielt er mit Freude und großem persönlichen Engagement die Vorlesung Experimentalchemie II (Organische Chemie), aber auch eine nicht-curriculare Vorlesung "Naturwissenschaften studieren - aber wie?" mit illustrativen Demonstrationen, die das wissenschaftliche Denken und Arbeiten schulen sollten. Außerdem etablierte er ein straff organisiertes und analytisch geprägtes Praktikumskonzept, welches sich im Lehrbuch „Integriertes Organisches Praktikum“ von Hünig, Märkl und Sauer widerspiegelt und in Verbindung mit weiteren von ihm angestoßenen Maßnahmen wesentlich zu den kurzen Studienzeiten bis zum Chemie-Diplom beitrug, verglichen mit der durchschnittlichen Studiendauer in Westdeutschland.
 

Wissenschaftliches Werk – weit mehr als nur die Hünig-Base

Jeder (organische) Chemiker wird wohl die Hünig-Base kennen: Diisopropylethylamin, ein sterisch abgeschirmtes tertiäres Amin mit sehr geringer Nucleophilie, über deren Anwendungspotential Hünig erstmals 1958 berichtete. Wenigen dürfte jedoch bewusst sein, wie vielfältig und kreativ Hünig ind den folgenden Jahrzehnten als Chemiker war und wie viele Grundlagen er legte für vielfach heute noch höchst aktuelle Forschungsgebiete. Eine exzellente Zusammenfassung erschien kürzlich in Form eines Essays von Hans-Ulrich Reißig in der Zeitschrift Angewandte Chemie. Daher soll hier nur kurz auf Hünigs Beiträge zur (physikalischen) organischen Chemie eingegangen werden.

Das wissenschaftliche Werk von Hünig beinhaltet synthesechemisch motivierte Arbeiten zu Aldolkondensationen, Diels-Alder-Reaktionen, die Nutzung von in-situ hergestelltem Diimin, die nukleophile Acylierung mit Trimethylsilylcyanid sowie die Entwicklung einer neuen Methode zur Herstellung von heterocyclischen Azofarbstoffen, welche auch industrielle Bedeutung erlangte. Letztere beruht auf einer oxidativen Kupplung von elektronenreichen Aromaten und Enaminbasen und basiert damit auf den langjährigen Interessen von Hünig an Redoxsystemen. Unter den Letzteren faszinierten ihn insbesondere auch mehrstufige Redoxsysteme und deren Aufklärung mittels elektrochemischer Methoden, sowie in seinem letzten großen Schaffensabschnitt die Entwicklung von Radikalanionensalzen auf Basis des N,N‘-Dicyanchinondiimins, deren metallische Leitfähigkeit bei tiefen Temperaturen selbst die von Kupfer und Silber übertrifft.

Nach der Pensionierung widmete sich Hünig noch viele Jahre der Chemie. Seine letzte Publikation über die elektrochromen Eigenschaften von trinuklearen Cyaninen erschien in der Angewandten Chemie im Jahr 2007, aber auch in den folgenden Jahren nahm Hünig mit großer Regelmäßigkeit an den GDCh- und OC-Kolloquien teil. Noch mehr Zeit widmete er im hohen Alter jedoch einem medizinischen Problem, von dem er persönlich stark betroffen war: der altersbedingten Makuladegeneration (AMD). Hier recherchierte er mit großer Akribie die Fachliteratur und veröffentlichte in Fachjournalen und im Internet für den Laien verständliche Artikel und Schriften zur Vermeidung von Sehschäden.
 

Heroe of Chemistry und Ehrensenator

Die Zeitschrift "Angewandte Chemie" widmete Siegfried Hünig im März 2021, anlässlich seines bevorstehenden 100. Geburtstags, eine Internetseite in der Rubrik Heroes of Chemistry and Nobel Laureates. Zeitgleich erschien dort ein Essay mit dem Titel Eine Hommage an Siegfried Hünig und seine Forschung von Professor Hans-Ulrich Reißig.

Von den Preisen, die Hünig für seine wissenschaftlichen Arbeiten erhielt, seien folgende genannt:

  • Adolf von Baeyer Memorial Medal, Gesellschaft Deutscher Chemiker
  • Great Seal of the University of Padua
  • Max Lüthi Medal, Swiss Chemical Society
  • Heyrovský Medal of the Academy of Sciences of the Czech Republic

Siegfried Hünig war Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Zudem erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universitäten in Marburg, München und Halle.

In Anerkennung seiner Verdienste um die Alma Julia in Würzburg wurde Hünig im Jahre 2011 mit der Würde eines Ehrensenators ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde anlässlich seines 90. Geburtstages die Siegfried-Hünig-Vorlesung eingerichtet. In diesem Rahmen wird jedes Jahr ein(e) international renommierte(r) Chemiker*in zu einem Vortrag nach Würzburg eingeladen. Bis 2018 war Hünig die persönliche Teilnahme gesundheitlich noch möglich, zur Freude und Ehre der Organisatoren, der Preisträger und des Auditoriums.
 

Siegfried Hünig als Vorbild

Das Institut für Organische Chemie ist seinem Gründer, Siegfried Hünig, für immer dankbar, dass er mit Weitblick und Mut vor über 50 Jahren die Weichen richtig stellte, indem er bereitwillig seine Macht als Direktor des damaligen Chemischen Instituts mit anderen teilte. Auch die Fakultät für Chemie und Pharmazie ist ihm zu größtem Dank verpflichtet, gilt er doch als Vater des Chemiezentrums am Hubland, in dem seit über 50 Jahren erfolgreiche Forschung betrieben wird und große Erfolge in der Ausbildung von Studierenden und Nachwuchswissenschaftler*innen erzielt werden. Besonderer Dank gebührt ihm zudem für die schriftliche Aufarbeitung der Geschichte der Chemie in Würzburg, zu der er selbst so viel beigetragen hat, auch noch lange nach seiner Emeritierung.

Siegfried Hünig gehört zweifelsohne zu den großen Chemikern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zu den großen Hochschullehrern in der langen Geschichte der Universität Würzburg. Einer, der Verantwortung und Leitungsfunktion übernommen hat und dabei immer nahbar und emphatisch geblieben ist, ist von uns gegangen.

Institutsleitung, Professorenkollegium, Mitarbeiter*innen sowie ehemalige Kolleg*innen und Studierende werden sein Vermächtnis in Ehren halten.

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